Es erscheint uns sehr wichtig, dass wir Ärzte in der heutigen Zeit klare Positionen in der Diskussion um unser Gesundheitswesen vertreten und unsere Ansichten auch weiterverbreiten. Auf dieser Seite finden Sie deshalb unsere persönlichen Stellungsnahmen zu verschiedenen Themen der aktuellen Gesundheitspolitik: chronologisch geordnet, subjektiv (aber um Objektivität bemüht), manchmal provokativ. Leider beschränken sich die meisten Diskussionen um das Gesundheitswesen fast nur auf die Kostenfrage - dabei wäre es sehr viel sinnvoller, den Horizont zu erweitern und Öfters den Blick auch etwas weiter zu werfen...
Interview mit Prof. Paul Vogt, lesenswert und - leider - nur allzu wahr...
"Das Schweizer Gesundheitssystem wird gerade an die Wand gefahren. Das sage nicht nur ich, sondern auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen.
Weshalb? Weil die Administration überbordet. Das Problem ist nicht die fehlende Digitalisierung, sondern dass jeder Handgriff dokumentiert werden muss. Die Krankenkassen befinden sich im Kontrollwahn, was Pflegepersonal und Ärzte weg vom Patienten und hin zum Computer zwingt. So werden Milliarden von Daten produziert, die keiner mehr überblicken kann. Eine sinnlose Dokumentationswut, aus der sich nicht einmal sinnvolle Schlüsse ziehen lassen."
Leider eine traurige Tatsache: ausufernde Bürokratie gepaart mit Inkompetenz (u.a. Stichwort Digitalisierung...) und Arroganz in Bersets BAG führen zu immer grösserer administrativer Belastung ohne jeglichen Benefit - Leerläufe ohne Ende...
Die Mär von der «Kostenexplosion» im Gesundheitswesen Die Kosten des Gesundheitswesens in der Schweiz (und ebenso in den umliegenden Ländern) sind in den letzten Jahren kontinuierlich um jährlich 3 bis 4% angestiegen, eine 'Kostenexplosion' im Gesundheitswesen hat also überhaupt nicht stattgefunden! Im Gegenteil: angesichts der demografischen Entwicklung unserer Bevölkerung und den grossen (aber kostenintensiven!) Innovationen der Medizin der letzten Jahrzehnte ist es eigentlich eher erstaunlich, dass es gelungen ist, einen ausgeprägteren Anstieg der Kosten zu verhindern! Deutlich mehr sind allerdings in der Schweiz in den letzten 20 Jahre die Krankenkassenprämien angestiegen, da der den Versicherten berechnete Kostenanteil laufend zunahm. Diese Tatsache wird von den Gesundheitspolitikern möglichst vertuscht...
Wenn also in Zukunft die unbestritten hohe Qualität unseres Gesundheitswesens nicht gefährdet werden soll, müssen wir uns weiterhin darauf gefasst machen, dass auch in den nächsten Jahren die Kosten in ähnlichem Ausmass weiter ansteigen werden. Aus diesem Grund sollte endlich vermehrt die Diskussion in Gange gebracht werden, wie wir diese Kosten auf sozial verträgliche Art und Weise finanzieren können - und ob wir dies überhaupt wollen!
Zudem sollte der Grundleistungskatalog entschlackt werden. Aber dazu scheint der politische Wille zu fehlen. Im Gegenteil: BR Berset hat gar veranlasst, dass komplementäre Therapien, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit überhaupt nicht nachgewiesen sind, wieder von den Kassen vergütet werden müssen.
Teurer Föderalismus Ein absolutes Tabuthema für Politiker (die nochmals gewählt werden möchten) ist der Föderalismus als wichtiger Kostentreiber im Gesundheitswesen. Jeder Kanton leistet sich seine eigene Gesundheitsversorgung und es werden dadurch sehr viele nicht gut ausgelastete und ineffiziente (Parallel-)Strukturen aufrechterhalten (vor allem in Spitälern und Verwaltung). Es gibt sicher nach wie vor Teilbereiche im Gesundheitswesen, die gut oder gar besser kantonal geregelt werden können (z.B. Bewilligungen für Arztpraxen). Viele Bereiche (vor allem Spitalplanung, Spitzenmedizin, Forschung & Ausbildung) müssen aber in einem kleinen Land wie der Schweiz national oder zumindest überregional geplant werden.
TARMED und Kostenentwicklung in den Arztpraxen Der TARMED wurde als schweizerischer Einheitstarif 2004 eingeführt. Dieser Tarif wurde in langen und aufwendigen Verhandlungen nach betriebs-ökonomischen Gesichtspunkten erarbeitet. Die den Berechnungen zu Grunde liegenden Daten stammten aus den späten 90-er Jahren des letzten Jahrtausends und Ausgangspunkt war ein Taxpunktwert von 1 Franken.
Für die Einführung des TARMED wurde von der Aerzteschaft eine bis Ende April 2005 limitierte Kostenneutralitätsphase akzeptiert.In dieser Einführungsphase des TARMED sank der Taxpunktwert in allen Kantonen. Auch in späteren Jahren wurden noch weitere Anpassungen (immer nur nach unten) vorgenommen. Ein Teuerungsausgleich wurde nie zugebilligt.
Per Oktober 2014 hat zudem BR Berset verschieden Spezialistengruppen (u.a. den Gastroenterologen und Radiologen) in einer Nacht- und Nebelaktion den Taxpunktwert für techische Leistungen um 8.5 % gesenkt und dafür eine Zusatzposition für die Hausärzte geschaffen. Allerdings stellte sich im Nachhinein heraus, dass mit dieser Aktion den Hausärzten deutlich weniger Geld zufloss, als bei den Spezialisten eingespart wurde...
Es ist unbestritten, dass der TARMED ein „work in progress“ ist und weiterhin sein wird. Gewisse Leistungen werden im jetzigen Tarif überbewertet, viele Positionen sind aber auch unterbewertet oder in der jetzigen Tarifversion noch gar nicht vorhanden. Die Bemühungen der Aerzteschaft, diesen Tarif in den letzten Jahren sachgerecht und betriebsökonomisch korrekt zu revdieren sind leider gescheitert, da die Versicherer sich wenig kooperativ zeigten und eigentlich nur Veränderungen anstrebten und akzeptieren wollten, bei denen es zu Einsparungen gekommen wären. Dass auch Postionen neu geschaffen oder besser vergütet werden müssen, wurde nicht akzeptiert.
Nach wie vor ist es absurd, dass der Taxpunktwert des TARMED kantonal ausgehandelt wird und grosse interkantonale Unterschiede bestehen, die überhaupt nicht rational nach zu vollziehen sind.Wieso ist das kein Diskussionsthema? Ein Skandal ist die Tatsache, dass ambulante Leistungen im Spital weiterhin mit einem höheren Taxpunktwert verrechnet werden dürfen, als in der ambulanten Praxis - ganz entgegen den Vereinbarungen bei Abschluss der TARMED-Verträge vor über 13 Jahren! Ebenfalls skandalös: im TARMED wurden Leistungen die das Praxispersonal erbringt (z.B. Instruktionen für Untersuchungen oder Therapieanwendungen) schlichtweg vergessen! Und obwohl dies seit Jahren bekannt ist, wurde dieser Fehler nie korrigiert (es hätte ja etwas gekostet...)
Während die in den Arztpraxen erbrachten Leistungen somit in den letzten 20 Jahren laufend schlechter honoriert wurden, haben die Betriebskosten der Arztpraxen in dieser Zeit stark zugenommen:
Höhere Investitionskosten bei Praxisbeginn u.a. auch durch vermehrte gesetzliche Auflagen (behindertengerechtes Bauen, Klimaanlagen, weitere bauliche Auflagen)
Höhere Miet- und Personalkosten
Sehr Hohe Kosten und grosser zusätzlicher Zeitaufwand für EDV (zum Zeitpunkt der TARMED-Berechungen gab es noch kaum Praxis-Computer und keine elektronischen Krankengeschichten...)
Deutliche Zunahme der Versicherungskosten (insbesondere für Spezialärzte)
Höhere Beratungskosten bei zunehmend komplexen Organisationsstrukturen insbesondere in Gruppenpraxen
BR Berset: Totengräber der ambulanten Medizin Mit dem nun am 23. März 2017 angekündigten erneuten Tarifeingriff durch BR Berset sollen per Anfang 2018 die Tarife massiv gesenkt werden und dadurch 700 Millionen pro Jahr auf Kosten vor allem der Spezialärzte eingespart werden. Die angekündigte Tarifsenkung beträgt bis zu 17 % (z.B. bei den Gastroenterologen) und erfolgt willkürlich und weder sachgerecht noch auf Grund von seriösen betriebswirtschaftlichen Berechnungen.
Der heutige Taxpunktwert z.B. im Kanton Zürich (89 Rappen im ambulanten Bereich) ist bereits jetzt so tief, dass die ambulante Versorgung langfristig nicht mehr gewährleistet ist.
Das unternehmerische Risko einer Praxisübernahme oder –neugründung wird immer grösser. Die Verdienstmöglichkeiten wurden in den letzten 20 Jahren laufend schlechter. Bei diesen unsicheren Zukunftsaussichten und angesichts solch drastischer, unfairer und willkürlicher Eingriffe ins Tarifsystem durch BR Berset können und wollen junge Aerzte und Aerztinnen es sich nicht mehr leisten, eine eigene Praxis zu gründen, eine Praxis zu übernehmen oder sich in eine Gruppenpraxis einzukaufen.
In absehbarer Zeit wird es somit kaum mehr Aerzte-eigene Praxen geben, die doch nachweislich in den letzten Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zu einer kostengünstigen Medizin geleistet haben. Die ambulante Medizin wird sich in die Spitäler verlagern, was zu einer massiven Zunahme der Gesundheitskosten führen wird.
Sollten die jetzigen Verordungen tatsächlich umgesetzt werden, wird BR Berset wohl als Totengräber der ambulanten Medizin in die Geschichte eingehen! Aber möglicherweise nimmt er dies bewusst in Kauf und es ist Teil seines Planes, des Schweizerische Gesundheitswesen in eine Staatsmedizin umzuwandeln, wo die Aerzte keinen unternehmerischen Spielraum mehr haben und als Beamte zu reinen Befehlsempfängern degradiert werden. Es ist sehr zu hoffen, dass zumindest die bürgerlichen und liberalen Parlamentarier eine solche Entwicklung nicht zulassen!
Indikation nach medizinischen oder ökonomischen Kriterien?
"ein besonderes Opfer der Oekonomisierung der Medizin ist die Indikationsstellung"
Jammerschade, dass auch heute noch viele bedrohte Lebewesen für die Chinesische Medizin (v.a. als Potenzmittel) gnadenlos gejagt werden! Viagra ist da eine billigere und viel sinnvollere Alternative!
Und eine sehr eindrückliche Erfahrung, wenn man zwei dieser bedrohten Tiere in freier Wildbahn sehen konnte!
nur noch 3500 Tiger sind übrig geblieben (Indien, Februar 2012)
"Der Teamarbeit gehört die Zukunft" Teamarbeit ist seit Jahrzehnten in der Medizin absolut unabdingbar und zentral. Selbstverständlich sind bei jeder Form von Zusammenarbeit immer Verbesserungen möglich und notwendig. Teamarbeit muss ständig Überprüft, an neue Gegebenheiten angepasst und neu kalibriert werden. Aber dass hier mit diesem Untertitel ein neuer - und den Akteuren noch wenig bekannter - Trend suggeriert wird, ist doch ziemlich grotesk!
"Denn integrierte Versorgungsnetze bedeuten die Zukunft in der Medizin"
Das wird Gebetsmühlen-artig von den Politikern behauptet. Der Begriff "integrierte Versorgungsnetze" ist allerdings sehr schlecht definiert, jeder versteht etwas anderes darunter und die meisten Politiker verstehen zu wenig davon und sind froh um einen schwammigen Begriff der Medien-wirksam gut verwendet werden kann, jedoch unverbindlich und schlussendlich nichts sagend ist!
Und dass mit mehr Bürokratie, Verwaltung und eingeschränktem Handlungsspielraum der Akteure (z.B. durch sog. "preferred provider"-Listen) tiefere Kosten und bessere Qualität erreicht werden könnte, ist ein naiver Wunschtraum der Politiker.
"Das Einzelkämpfertum gehört der Vergangenheit an"
Dies ist zweifellos richtig (aber das haben natürlich viele von uns AerztInnen schon sehr lange vor der "Managed-Care-Diskussion realisiert...). Dies hat aber Überhaupt nichts damit zu tun, ob schlussendlich bürokratisch aufwendige "Managed-care-Modelle" eingeführt werden oder nicht. Für die meisten Aerzte ist es seit jeher absolut zentral ein "Netzwerk" von Kollegen und Kolleginnen zu haben, mit denen sie sich gedanklich und fachlich austauschen können und denen sie auch guten Gewissens Patienten Überweisen können. Aber auch dafür braucht es keine neuen Modelle sondern weiterhin engagierte und kommunikative Aerzte und Aerztinnen, die nicht durch immer mehr Bürokratie und Verordnungen in ihrem Entscheidungsspielraum eingeengt werden.
Und zum Aufbau von neuen Gemeinschafts- und Gruppenpraxen braucht es grosse Investitionen. Der unternehmerische Spielraum wurde jedoch durch staatliche Interventionen und Vorschriften (v.a. unter FDP-Bundesrat Couchepin) immer mehr eingeengt. Die Tarife wurden in den letzten 20 Jahren nicht mehr an die Teuerung angepasst, so dass sich für die frei praktizierenden Aerzte die ökonomischen Rahmenbedingungen deutlich verschlechtert haben. Vor allem jüngere Aerzte und Aerztinnen sind immer weniger bereit, unternehmerisches Risiko einzugehen und selbst in eine Praxis zu investieren.
"Die Reform des Krankenversicherungsgesetzes (KVG), welche Anreize für Versicherte beziehungsweise Patienten setzt, sich in integrierten Versorgungsnetzen behandeln zulassen, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung"
Falsch! An den Kosten wird sich langfristig rein gar nichts ändern, da nur Gesunde sich in diesen Modellen versichern lassen und darauf hoffen, möglichst wenig ärztliche Leistungen beanspruchen zu müssen. In ein paar Jahren ist aber dieser "Patientenselektionsvorteil" verpufft!
Dass die Behandlung in den "integrierten Versorgungsnetzen" günstiger sein soll, ist nicht nachvollziehbar resp. einmal mehr Politiker-Wunschdenken. Alle Aerzte in Aerztenetzwerken betreuen auch viele (und zahlenmässig sehr viel mehr) Patienten, die in "normalen" Versicherungsmodellen versichert sind und diese Patienten werden überhaupt nicht anders behandelt (was auch ethisch nicht vertretbar wäre). Für die Hausärzte ist allerdings der administrative Aufwand mit "Managed-Care-Patienten" grösser...
"Die Arbeit im Team und die Koordination des Behandlungsprozesses sichern die Qualität und vermeiden Doppelspurigkeiten"
Nochmals: dafür braucht es nicht noch mehr administrativen Ueberbau!
"Die Hausärzte werden zu den zentralen Begleitern der Patienten"
Das ist unbestritten, wird aber auch nicht besser durch Zusatzbürokratie! Und in den letzten Jahren wurde der Beruf des Hausarztes durch verschiedenste politische Massnahmen (z.B. Senkung der Labortarife) nicht attraktiver gemacht und den populistischen Arena-tauglichen Lippenbekentnisen zur Hausarztmedizin folgten keinerlei politische Taten! Und nun wird die "Managed-Care-Vorlage" als Bekenntnis zur Hausarztmedizin postuliert... Peinlich!
Sinnlose Wettbewerbe
Sinnlose Wettbewerbe von Mathias Binswanger (Herder Verlag, 2011)
Ein fataler Irrtum einseitigen Marktdenkens: je mehr Wettbewerb- umso besser! Wo es keinen Markt gibt, werden künstliche Wettbewerbe inszeniert, um Wissenschaft, Bildung und Gesundheitswesen auf Effizienz zu trimmen. Dies führt jedoch nicht zu mehr Qualität, sondern zu Produktion von immer mehr Unsinn. Und zu immer mehr Administration und Bürokratie...
Dieses Buch sollte zur Pflichtlektüre für Gesundheitspolitiker erklärt werden!
Gesundheitspolitischer Rückblick auf 2009
Januar 2010 Gesundheitspolitischer Rückblick auf 2009PDF
Die Mär von der «Kostenexplosion» im Gesundheitswesen Die Kosten des Gesundheitswesens sind in den letzten Jahren kontinuierlich um jährlich 3 bis 4% angestiegen, eine 'Kostenexplosion' im Gesundheitswesen hat also überhaupt nicht stattgefunden! Im Gegenteil: angesichts der demografischen Entwicklung unserer Bevölkerung und den grossen (aber kostenintensiven!) Innovationen der Medizin der letzten Jahre ist es eigentlich eher erstaunlich, dass es gelungen ist, einen ausgeprägteren Anstieg der Kosten zu verhindern! Nur schon in unserem Fachbereich sind in den letzten Jahren grosse Fortschritte in der medikamentöse Behandlungen von Hepatitis B & C, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und auch Krebserkrankungen erzielt worden. Allerdings handelt es sich dabei ausnahmslos um sehr teure Behandlungen, die teils über Jahre fortgesetzt werden müssen. Und in anderen Fachgebieten sieht die Situation nicht anders aus! Wenn also in Zukunft die unbestritten hohe Qualität unseres Gesundheitswesens nicht gefährdet werden soll, müssen wir uns darauf gefasst machen, dass auch in den nächsten Jahren die Kosten in ähnlichem Ausmass weiter ansteigen werden. Aus diesem Grund sollten die sogenannten Gesundheitspolitiker endlich vermehrt die Diskussion in Gange bringen, wie wir diese Kosten auf sozial verträgliche Art und Weise finanzieren können - und ob wir dies überhaupt wollen!
Anderenfalls wird der Weg weiter in Richtung Zwei- oder Dreiklassenmedizin gehen mit der Konsequenz, dass sich zumindest für den «Normalbürger» die Behandlungsqualität und der Zugang zu medizinischen Leistungen drastisch verschlechtern wird. Wie dies dann aussehen wird, darüber weiss jeder Amerikaner oder Italiener bestens Bescheid! Und auch in Deutschland befindet sich das Gesundheitswesen in einem drastischen qualitativen Sinkflug und Aerzte und Patienten kommen (noch) sehr gerne in die Schweiz...
Flugunfähiger Helikopter Glücklicherweise ist BR Couchepin endlich abgetreten! Er war ein schlechter Gesprächs- und Verhandlungspartner, der selbstherrlich agierte ohne sich gross um Fakten oder fundierte Ansichten von Fachpersonen zu kümmern - unterstützt von Gesundheitsfunktionären im BAG, die im Rahmen der Schweinegrippe-Impfaktion eindrücklich ihre Fähigkeiten und Fachkompetenz unter Beweis gestellt haben... Die gesundheitpolitischen Diskussionen haben so im Verlauf seiner Amtszeit immer mehr an Niveau und Gehalt verloren und wurden gleichzeitig im Ton gehässiger und unversöhnlicher: sehr unerfreulich für alle im Gesundheitswesen Engagierten! BR Couchepins Tätigkeit lässt sich wohl am besten mit einem flugunfähigen Helikopter vergleichen: Rotieren an Ort, viel Staub aufwirbeln, Lärm verursachen und Energie verbrauchen ohne sich in eine erkennbare Richtung zu bewegen... Es wäre wünschenswert, wenn unter seinem Nachfolger die gesundheitspolitisch notwendigen Diskussionen wieder in einem entspannteren und angenehmeren Klima stattfinden könnten: eine Klimaerwärmung ist hier sehr erwünscht!
Kopflose Sofortmassnahmen-Hektik In diesem Jahr waren vernünftige gesundheitspolitische Diskussionen leider ausnehmend rar und ein Grossteil der politischen Energie verpuffte mit hektischen und abstrusen bis schwachsinnige Sofortmassnahmen-Vorschlägen zur Kostensenkung. Und dabei sind - es muss wiederholt werden - die Kosten im Gesundheitswesen nicht stärker angestiegen als in den Jahren vorher! Lediglich die Prämien steigen nächstes Jahr teils massiv an und dies verdanken wir vor allem BR Couchepin, der während seiner Amtszeit die Prämienerhöhungen künstlich tief hielt, um sich so in den Medien als erfolgreicher Sanierer des Gesundheitswesens zu präsentieren.
Leider wurde mit der Einführung der neuen Praxislabortarife auch einige dieser kurzsichtigen Massnahmen umgesetzt: der Labor-Tarif wurde verkompliziert , so dass Patienten - und teils auch Krankenkassen und Aerzte - nicht mehr in der Lage sind, diese Tarifpositionen zu begreifen. Und vor allem für die Grundversorger, die diese Laboranalysen am häufigsten durchführen müssen, hat sich dadurch die ökonomische Perspektive erneut verschlechtert - und dies trotz all der politischen Lippenbekenntnisse für die Hausarztmedizin! Immer mehr ältere Hausärzte finden keine Nachfolger mehr, es droht in den nächsten Jahren ein eklatanter Hausärzte-Mangel!
Managed Care: Mehr Administration = bessere Qualität und weniger Kosten ? In Anbetracht obiger Entwicklungen nimmt man erstaunt zur Kenntnis, dass immer noch viele Politiker (und andere Partner im Gesundheitswesen) Managed Care Modelle als grosse Zukunftshoffnung betrachten! Eines ist sicher: Managed Care bringt sicher eine (weitere) vermehrte administrative Belastungen für die Hausärzte - ohne signifikante Verbesserung der ökonomischen Situation. Und die in vielen Regionen gute und unbürokratische Zusammenarbeit mit Spitälern und Spezialisten wird dadurch nicht verbessert. Und dies soll langfristig zu mehr Qualität und weniger Kosten führen? Und immer weniger Hausärzte sollen immer mehr Arbeit (mit immer mehr Administration und weniger Zeit für Patienten) leisten? Stell Dir vor, alle Leute sind in Managed Care Modellen versichert und es gibt keine Hausärzte mehr!
Zudem ist die Behandlung beim Spezialisten überhaupt nicht immer teurer - obwohl dies laufend so dargstellt wird ! Es gibt viele fundierte Studien, die aufzeigen, dass bei verschiedensten Erkrankungen (v.a. wenn es sich um eher seltenere Erkrankungen handelt) die Behandlung beim Spezialisten effizienter und kostengünstiger ist. Welcher Patient wo am besten behandelt wird, kann also nach wie vor am besten zwischen Grundversorgern und Spezialisten kollegial diskutiert werden. Und dafür brauchen wir keine administrativ aufwendigen Managed Care Modelle, wo in Zukunft möglicherweise gar noch Krankenkassenfunktionäre bezüglich Behandlung und Therapie Einfluss nehmen wollen.
Teurer Föderalismus! Ein absolutes Tabuthema für Politiker (die nochmals gewählt werden möchten) ist der Föderalismus als wichtiger Kostenfaktor im Gesundheitswesen. Jeder Kanton leistet sich seine eigene Gesundheitsversorgung und es werden dadurch sehr viele nicht gut ausgelastete und ineffiziente (Parallel-)Strukturen aufrechterhalten (vor allem in Spitälern und Verwaltung). Die freie Spitalwahl in der Schweiz für allgemein versicherte Patienten (ein sinnvoller Vorschlag von Ex-BR Couchepin!) wäre diesbezüglich ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, hatte aber vor dem Parlament nicht die geringste Chance. Es gibt sicher nach wie vor Teilbereiche im Gesundheitswesen, die gut oder gar besser kantonal geregelt werden können (z.B. Bewilligungen für Arztpraxen). Viele Bereiche (vor allem Spitalplanung, Spitzenmedizin, Forschung & Ausbildung) müssen aber in einem kleinen Land wie der Schweiz national oder zumindest Überregional geplant werden. Was passiert, wenn national etwas beschlossen und verfügt wird (BAG) und dies dann kantonal umgesetzt werden muss, hat man diesen Herbst bei der Schweinegrippen-Impfaktion verfolgen können: ein groteskes Chaos, peinlich!
TARMED - ein schweizerischer Einheitstarif? Ein wahrer Skandal ist die Tatsache, dass nach wie vor der Taxpunktwert des TARMED kantonal ausgehandelt wird und grosse interkantonale Unterschiede bestehen, die überhaupt nicht rational nach zu vollziehen sind. Und ein ebenso grosser Skandal ist die Tatsache, dass ambulante Leistungen im Spital mit einem höheren Taxpunktwert verrechnet werden dürfen, als in der ambulanten Praxis. Es gibt keinen vernünftigen Grund, wieso beispielsweise eine Darmspiegelung im Spital nach wie vor (und entgegen den Vereinbarungen bei Abschluss der TARMED-Verträge!) mehr kosten soll als in der Privatpraxis.
Praxisbewilligungsstop: schlechte Perspektiven für Jungärzte und -ärztinnnen! Ebenfalls grotesk ist der nationale Beschluss, den Paraxisbewilligungs-Stop aufrecht zu erhalten. Dies ist für junge Schweizer Aerzte und Aerztinnen demotivierend und verunmöglicht eine längerfristige Planung. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass aktuell aus dieser Mediziner-Generation nur Wenige bereit und in der Lage sind, in eine eigene Praxis oder Gruppenpraxis zu investieren. Stattdessen werden in immer mehr Praxen Arztkollegen aus dem Ausland angestellt oder Praxen bereits jetzt an Nicht-Schweizer verkauft... Und alle in Spitälern altershalber pensionierten Chefarzte oder Leitenden Aerzte behalten ihre Praxisbewilligung und viele eröffnen danach ihre Privatpraxis. Eine wahrlich tolle Nachwuchsförderung!
Versichertenkarte Die Einführung der neuen Versichertenkarte müsste theoretisch per 1.1.2010 erfolgen und gemäss Gesetz müssten ab dem 1.1.2010 auf jeder Rechnung die neue AHV-Nummer (Sozialversicherungsnummer) sowie die Versichertenkartennummer aufgeführt werden. Leider ist es aber eine Tatsache, dass dazu weder die organisatorischen noch die technischen Voraussetzungen gegeben sind: einmal mehr ein ärgerlicher bürokratischer Pfusch!
Konklusionen Leider war 2009 für die meisten im Gesundheitswesen Engagierten ein - zumindest politisch betrachtet - unerfreuliches Jahr und es gibt kaum Positives zu berichten! Es wäre sehr erfreulich und wünschenswert, wenn 2010 auch wieder einmal politische Entwicklungen und Entscheidungen stattfänden, die unsere Arbeit erleichtern und verbessern, so dass durch positive Zukunftsperspektiven mehr Aerzte und Aerztinnen den Schritt in die freie Praxis wagen. Dafür brauchen wir aber auch einen vernünftigen unternehmerischen Spielraum und nicht immer mehr Einschränkungen, Administration und Leerlauf-Bürokratie! Peter A.Schmid, 12.12.2009
Gesund und schlank
Gesund & schlank: mehr Gesundheitskosten! Raucher und Uebergewichtige verursachen wegen geringerer Lebenserwartung deutlich weniger Kosten. Artikel NZZ online, 5.2.2008
Dr. Peter A. Schmid, Dr. Bernhard Hochreutener, Dr. Irina Ulmer
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